Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Der Bundesrat hat seit 19. März 2021 eine Strategie für das Verhältnis der Schweiz zum totalitären China.
Er hat keine Strategie für das Verhältnis der Schweiz zum demokratischen, rechtstaatlichen Europa.
Das Rahmenabkommen mit der EU steht im Bundesrat vor dem Kollaps.
Der Bundesrat rühmt „das Entwicklungsmodell Chinas und sein disziplinierter Umgang mit Wirtschaftsfragen“.
Bei der Armutsbekämpfung sei das Land ein Vorbild.
China sei der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz, der wichtigste in Asien.
Die Schweiz strebe in den Bereichen Finanzen, Wissenschaft, Kultur und Umweltschutz eine Zusammenarbeit mit China an.
Sie unterhalte in China ein umfassendes Netz mit der Botschaft in Peking, vier Generalkonsulaten, Swissnex, Schweiz Tourismus, DEZA und Swiss Business Hubs.
Die Schweiz wolle „eine eigenständige Chinapolitik“ verfolgen und sehe sich für China in der Rolle als "Brückenbauer", sagt der Bundesrat.
Die eigenständige Chinapolitik ist eine ideologische Fortschreibung der umstrittenen Neutralitätspolitik im Zweiten Weltkrieg im Verhältnis zum totalitären Deutschland und im Kalten Krieg im Verhältnis zur totalitären Sowjetunion, unter neuer Etikette.
Erwartete wirtschaftliche Vorteile haben Priorität. Der totalitäre Charakter des Regimes auf der andern Seite der Brücke ist zweitrangig und wird dementsprechend in der "eigenständigen Chinapolitik" nicht thematisiert.
Die bundesrätliche China-Strategie ist eine direkte Folge der Visiten von SVP-BR Maurer beim Generalsekretär der Kommunistischen Partei (Communist Party of China, CPC) Xi Jinping im April 2019 und des CPC-Zentralkomitee-Mitglieds Wang Yi bei FdP-BR Cassis im Oktober 2019.
Laut EDA-Mitteilungen wollen sich CPC-Führungskräfte und Mitglieder der Schweizer Regierung jedes Jahr treffen, in der Schweiz oder in China.
Gerade jetzt, im Zeitpunkt der Publikation der bundesrätlichen Strategie, im März 2021, schlagen die Europäische Union und die USA gegenüber der CPC andere Töne an.
Sie erinnern jetzt und erinnerten in der Vergangenheit:
Die Europäische Union und die USA haben sich für Gegenmassnahmen und Sanktionen entschieden.
Sie sehen in der CPC eine Bedrohung der regelbasierten internationalen Ordnung.
Mit der gleichzeitigen Publikation seiner China-Strategie will sich der Bundesrat von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten absetzen.
Der chinesische Parteiführer soll sehen, dass die Schweiz nicht zur westlichen Allianz gehört und sich die Sympathien der CPC und die damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile nicht verscherzen will.
FdP-BR Cassis meint am 25.03.21 in der Handelszeitung: „Die Schweiz wurde von China bisher überdurchschnittlich gut behandelt“.
Ob der Generalsekretär der CPC dem Bundesrat applaudieren und sich in den Wirtschaftsbeziehungen erkenntlich zeigen wird, bleibt abzuwarten.
Der Bundesrat stellt sich mit „Pioniergeist und Pragmatismus“ (so seine Worte) auf die Seite des totalitären CPC-Systems, mit dem Ziel auch in Zukunft wirtschaftliche Vorteile gegenüber den europäischen Konkurrenten zu erlangen.
FdP-BR Cassis sagt am 25.03.21 in der Handelszeitung: „China ist ein feiner Beobachter der Schweiz. Die [chinesische] Regierung gewährt unseren Firmen dosiert Vorteile, wenn sie sehen, dass wir ihnen entgegenkommen.“
Dementsprechend folgt der Bundesrat mit der Belobigung der Armutsbekämpfung der CPC-Propaganda und rühmt den "disziplinierten Umgang [der CPC] mit Wirtschaftsfragen".
Gewöhnliche Leute - meist ehemalige Bauern - verdienen in den chinesische Fabriken unter staatlicher Kommandowirtschaft bei einem 10 Stunden-Arbeitstag einen Hungerlohn von CHF 400 pro Monat.
Die Fabriken entsorgen ihre Schadstoffe ohne Kosten unbehandelt in Gewässer, Boden und Luft, was gravierende Umweltschäden zur Folge hat.
Erachtet unsere derzeitige Regierung diese gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse als vorbildlich und diszipliniert?
Jedenfalls garantiert diese Art Armutsbekämpfung, Interventionismus und Umweltschutz Schweizer Importeuren und China-Produzenten extrem vorteilhafte Tiefstpreise, was sich auf dem hochpreisigen Schweizer Markt auszahlt.
Produziert und importiert wird aus fast allen Bereichen der Fabrikation. Gegen 80% der Waren in Schweizer Baumärkten stammen ganz oder zum Teil aus chinesischen Fabriken. Ähnliches gilt für konservierte Lebensmittel.
Die aggressiven Grossmachtambitionen, den monströsen Überwachungsapparat und das autoritäre Unterdrückungsregime akzeptiert der Bundesrat als nebensächliche und für die wirtschaftlichen Vorteile der Importeure hinzunehmende Realität.
FdP-BR Cassis formuliert es so: „Der Staat ist dort eine einzige Organisation und deshalb straff organisiert.“ „Die KP ist die führende Kraft in China. Dort laufen alle Fäden zusammen.“
In der Volksrepublik China werden weltweit weitaus die meisten Hinrichtungen vollzogen. Laut Amnesty International sind es jährlich Tausende.
SVP-BR Maurer und SVP-BR Parmelin hatten am 29. April 2019 mit der CPC-Führung in Peking für ihre Departemente ein Memorandum of Understanding (MoU) unterschrieben.
Danach sollen BR Maurers Staatsekretariat für internationale Finanzfragen und BR Parmelins Staatssekretariat für Wirtschaft zusammen mit der chinesischen Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (eine Institution der CPC-Planwirtschaft) in der Schweiz eine „competence-building platform“ für Xi’s „Belt and Road“-Projekt auf die Beine stellen.
Man kann das MoU vom 29.04.19 auch so interpretieren: auf Kosten der Schweizer Steuerzahler sollen Xi und die CPC, gefördert von den beiden SVP-Regierungsmitgliedern, mitten in Europa eine Propaganda-Plattform für ihre Grossmachtpläne aufbauen können.
FdP-BR Cassis ist der Ansicht, wegen dem MoU hätten die Schweizer Banken einen besseren Zugang zum chinesischen Markt erhalten.
Ob sich die Banken darüber freuen, Nutzniesser eines derartigen Handels zu sein?
In seiner China-Strategie erwähnt der Bundesrat das chinesisch-schweizerische Projekt der Departemente von SVP-BR Maurer und SVP-BR Parmelin nicht mehr.
In den letzten zwei Jahren hat man davon nichts mehr gehört. Die Bundesämter der beiden Departemente sind offenbar in Wartestellung.
Vielleicht – und hoffentlich für die Schweiz – war das MoU nur heisse Luft der beiden SVP-Bundesräte zu Gunsten der CPC-Propaganda.
Möglicherweise mutiert die competence-building platform zu einem Joint-Venture-Propaganda-Projekt der CPC und der SVP. Zwei Parteien, die sich mögen.
Die bundesrätliche China-Strategie steht im Kontrast zur Europa-Strategie.
Hier herrschen Schweigen und Müdigkeit statt Pioniergeist und Pragmatismus.
Im Hintergrund rüstet sich die Bundesverwaltung zur Beerdigung des Rahmenabkommens mit der EU.
FdP-BR Cassis meint am 25.03.21 in der Handelszeitung: „Wir sind nicht nur Corona-müde, sondern auch Rahmenabkommen-müde.“ „Ein Scheitern wäre kein Drama.“
Im Auftrag und mit Wissen von BR Cassis hatte sein oberster Beamter, Staatssekretär Balzaretti, das Abkommen ausgehandelt und im Herbst 2018 das Ergebnis seinem Verhandlungspartner aus der EU, dem EU-Kommissar Johannes Hahn, mit Wissen des Bundesrates bestätigt.
Im Dezember 2018 desavouierte die Regierung Staatsekretär Balzaretti wegen Lärm aus dem rechtsnationalen Lager.
Im Herbst 2020 setzte sie den Staatssekretär ab.
Weshalb zieht die aktuelle Regierungsmehrheit von SVP/FdP das totalitäre CPC-System dem demokratischen rechtsstaatlichen Europa vor?
Diese Politik ist irrational.
Ist sie der dominierenden rechtsnationalen Ideologie geschuldet?
Ein nationalistischer, aggressiver und autoritärer Umgang mit Andersdenkenden und Minderheiten gehört zur Substanz dieser Ideologie.
Toleranz, Meinungsvielfalt und Achtung der Grundrechte von Individuen und Minderheiten sind unbeliebt – wie im Denken der CPC-Führung.
Entgegen den Prognosen ist die globale Konkurrenz zwischen liberalen, rechtsstaatlichen, demokratischen Gesellschaften und kollektivistischen, totalitären Überwachungs- und Gewaltregimen mit dem Ende des Kalten Kriegs nicht verschwunden.
Wieder geht es um die Freiheit.
25.03.2021